Jeden Tag in der Vorweihnachtszeit (1. bis 24.12.2024)

veröffentlichen wir hier auf dieser Homepage und bei Facebook eine Weihnachtsgeschichte.

 

Die nachfolgende Geschichte wurde anlässlich eines Kurzgeschichten-Wettbewerbs des NOEL-Verlages im Jahr 2019 im Siegerbuch veröffentlicht.

 

 

 

Ein Date mit dem Weihnachtsmann?

 

Melanie Gräfen

 

Kathie war an diesem Morgen schon früh wach. Sie schlen­derte, sich die kleinen Äuglein reibend, in die Küche. Bereits im Flur konnte man einen Hauch von Zimt und den Geruch von Orangen wahrnehmen.

„Guten Morgen, mein kleiner Schatz. Na, hast du gut ge­schlafen?“, fragte Susanne ihre kleine Tochter liebevoll.

Kathie gähnte und setzte sich an den Küchentisch. „Ja.“ Sie lächelte und fragte: „Was riecht hier so lecker?“

„Na was glaubst du wohl?“, lautete Susannes Antwort mit einem spitzbübischen Grinsen.

Kathies Augen wurden groß. „Backst du etwa meine Lieb­lingsweihnachtsplätzen?“

„Da liegst du goldrichtig, mein Spätzchen.“ Susanne strich ihrer Tochter liebevoll über den Kopf. „Wenn du magst, kannst du mir bei dem zweiten Blech helfen und den Teig ausstechen.“

„Oh ja!“ Kathie strahlte.

Im nächsten Moment trat Becky in den Türrahmen der Küche. Sie war Kathies ältere Schwester und sah müde aus. Träge ging sie weiter in die Küche und ließ sich auf einem der filigran verzierten Stühle nieder. Mit einer Hand stützte sie ihren Kopf und gähnte.

Susanne stellte ihr eine Tasse Tee auf den Tisch.

Becky murmelte nur leise: „Danke.“

Kathie war bereits mit einem Nudelholz bewaffnet und verkündete stolz: „Becky, wir backen meine Lieblings­plätz­chen!“

Becky zog eine Augenbraue hoch und zwang sich zu einem Lächeln. „Ich sehe es.“

„Hast du nicht gut geschlafen, mein Mäuschen?“, fragte Susanne Becky.

„Och Mama, nerv mich nicht. Ich bin halt noch müde.“ Susanne erwiderte: „Ja, das merkt man. Und deine gute Laune liegt vermutlich auch noch im Bett.“

Kathie wurde ungeduldig: „Mama, los, lass uns anfangen!“

Susanne lächelte und ging zu der Arbeitsplatte, an der Kathie bereits voller Energie stand. Sie zeigte ihr, wie man das Nudelholz richtig hält und ansetzt.

Becky beobachtete die beiden kurz. Dann zückte sie ihr Smartphone und tippte einige Nachrichten.

„Susanne?“, fragte Becky in einem Ton, der schon aussagte, dass sie etwas wollte.

„Ja, Becky?“, kam es gespannt zurück.

„Darf ich später mit Martina und den anderen in die Stadt und ins Kino?“

Kathie war empört: „Aber wir wollten auf den Weihnachts­markt und nach einem Weihnachtsbaum gucken.“

Becky entgegnete genervt: „Das können wir doch auch wann anders tun.“

Susanne: „Kathie, wir können das auch zu zweit machen. Also Becky, ich finde es zwar schade, aber natürlich kannst du etwas mit deinen Freunden unternehmen.“

Becky lächelte ihre Mutter zufrieden an. „Super, danke.“ Sie wollte grade nach ihrem Handy greifen, um ihren Freunden zu schreiben, als Kathie trotzig die Ausstechform eines Tannenbaums auf die Arbeitsfläche der Küche schlug.

„Das ist richtig doof. Wir haben das immer zusammen gemacht.“

„Woah Kathie, ganz ehrlich, langsam nervst du.“

„Gar nicht! Du bist voll egoistisch.“ Mit diesen Worten stapfte sie an ihrer Schwester geradewegs vorbei aus der Küche heraus.

Susanne und Becky sahen sich an. Jetzt hörte man oben eine Tür ins Schloss knallen.

„Was war das denn?“, fragte Becky ihre Mutter verdutzt. Susanne schüttelte grinsend den Kopf und antwortete: „Na, bei wem sie sich dieses Verhalten wohl abgeguckt hat?!“ „Ha ha“, entgegnete Becky trocken.

„Ach Schatz, es ist ihr eben wichtig. Sie sieht zu dir auf und hat dich gerne dabei. Außerdem liebt sie die Weihnachtszeit eben.“

„Na klar, solange man noch an den Weihnachtsmann glaubt, ist das auch etwas anderes.“

„Wieso bist du denn so negativ?“, fragte Susanne, während sie sich ihrer Tochter gegenübersetzte.

„Das Ganze ist doch nichts weiter als ein Konsumevent, das sich über Wochen hinzieht mit dem großen Ziel, dass alle gezwungen einen auf ‚liebevolle Familie‘ tun und am Ende jeder unzufrieden über das ach so falsche Geschenk ist.“

Susanne wirkte entsetzt. „Becky, woher rührt das denn?“

„Ist doch so.“

Susanne griff nach der Hand ihrer Tochter. „Siehst du das bei uns denn wirklich so? Wir hatten doch früher auch immer viel Spaß beim Plätzchen backen. Oder als wir früher noch gemeinsam etwas für die Verwandten als Ge­schenk von dir gebastelt haben. Und den Weihnachts­spaziergang am ersten Weihnachttag und …“

Becky unterbrach sie: „Ja, das stimmt schon. Aber erstens ist das sowieso bei den wenigstens Familien noch so und außerdem endet der Weihnachtsabend selbst doch trotz­dem meist im Streit. Wenn ich allein letztes Jahr an Tante Alice denke. Die muss gar nicht denken, dass ich für die irgendwas besorge. Die braucht den Abend doch richtig, um sich beschweren zu können. Und Opa Gustav ist doch auch immer schlecht gelaunt.“

„Aber Becky, nur weil manche Menschen …“

Becky unterbrach ihre Mutter erneut: „Lass uns nicht mehr diskutierten. Ich finde das auf jeden Fall alles ein riesen Fake.“ Sie stand auf.

Susanne sah sie traurig an. „Und was machst du jetzt?“ Becky verdrehte die Augen. „Na was wohl? Kathie sagen, dass ich mit euch komme.“ Becky verließ die Küche.

Susanne lächelte ihr nach. Dann stand sie auf und küm­merte sich um das Blech, das bereits im Ofen war.

Ein kühler Wind zog umher. Die Straßenbahn war sehr voll. Susanne hatte Kathie an der Hand. Becky warf immer mal wieder einen Blick auf ihr Handy. Endlich kamen sie an der Station an, an der sie aussteigen wollte. Da diese nahe dem Stadtzentrum lag, wollten dies die meisten Reisenden. Von außen sah es aus, als würde eine regelrechte Men­schenmasse aus der Bahn strömen. Becky war sichtlich genervt von dem Gedränge.

Nach einigen Minuten Fußweg waren sie endlich auf dem großen Marktplatz angekommen, auf dem der Weihnachts­markt stattfand. Die ganze Stadt war wahrlich schön ge­schmückt. Mehrere Lichterketten beleuchteten die Szenerie und vermittelten eine sinnlich beruhigende Atmosphäre.

Kathie zog am Arm ihrer Mutter und zeigte auf einen Glüh­weinstand: „Mama, krieg ich einen Kinderpunsch?“ Susanne nickte. Die drei stellten sich an einen Stehtisch, der nahe an einem Heizpilz stand.

„Becky, was möchtest du trinken?“

„Glühwein.“

„Becky, du bist aber erst 16. Wir können uns einen teilen, wenn du magst.“

„Ganz ehrlich, als ob ein Glühwein so schädlich wäre. Das ist doch voll das schwachsinnige Gesetz.“

Susanne gab nach. „Na gut, dann hole ich zwei Glühwein und einen Kinderpunsch. Passt du bitte auf Kathie auf?“ Becky witzelte zufrieden: „Ja ich versuche sie ausnahms­weise nicht umzubringen.“

Susanne stellte sich in der Schlange an.

Kathie sah sich um. Ihre Augen leuchteten.

Becky beobachtete den Ausdruck in dem Blick ihrer kleinen Schwester. Dann folgte sie ihrer Blickrichtung, um zu ver­stehen, was sie eigentlich so faszinierte. Sie sah in die Ge­sichter der Leute, die um sie herum hetzten, sich mit Ta­schen abschleppten, genervt dreinschauten oder sich eng an Men­schen vorbeischoben.

„Woah, sieh mal, der Weihnachtsmann!“

Becky sah ihn ebenfalls. Sie überlegte kurz im Stillen. Dann neigte sie sich zu Kathie und legte ihr beide Hände auf die Schulter. Sie sahen sich in die Augen. „Kathie, das ist nicht der echte Weihnachtsmann.“

Kathie wirkte verunsichert.

„Also, der Weihnachtsmann hat ja unfassbar viel zu tun.“ Becky machte eine kurze Pause. „Und deshalb hat er einige Helfer überall in den größeren Städten.“ Bei diesem Satz gestikulierte sie groß. Dann deutete sie auf den jungen Mann. „Der da ist einer von ihnen. Sie haben Weihnachts­mann­kostüme an, um zu zeigen, dass sie alle dem richtigen Weih­nachtsmann dienen. Und wenn sie Wünsche von den Kin­dern bekommen, geben sie diese natürlich im Bestfall auch direkt weiter.“

Der verkleidete Weihnachtsmann wurde auf die beiden auf­merksam, als Becky auf ihn deutete und beobachtete sie. Kathie war etwas traurig, dass sie doch nicht den richtigen Weihnachtsmann entdeckt hatte, nickte aber verständnis­voll.

Mittlerweile stand der junge verkleidete Mann in unmittel­barer Nähe der beiden und fügte hinzu: „Ja, das stimmt. Kann ich denn hier schon mal einige Wünsche sammeln?“ Sein Blick wechselte von Becky zu Kathie.

Kathie war überwältigt. „Oh wow, und die kommen dann direkt zum richtigen Weihnachtsmann?“

„Ja genau“, antworteten der junge Mann und Becky fast zeitgleich. Daraufhin sahen und lächelten sie sich an.

Kathie zog einen zusammengefalteten Zettel aus ihrer Jackentasche und streckte ihn dem verkleideten Weih­nachts­mann entgegen. „Hier“, sagte sie strahlend.

„Danke, ich werde dafür sorgen, dass der Weihnachtsmann ihn bekommt.“

Nach einer kurzen Pause ermahnte Becky Kathie: „Kathie, wie sagt man?“

„Danke.“

Der junge Mann, der nicht viel älter als Becky zu sein schien, erwiderte: „Keine Ursache, dafür sind wir doch da.“ Dann verabschiedete er sich und verschwand wieder in den Grup­pen von Menschen.

Becky sah ihm noch eine Weile nach, bis ihre Mutter die Getränke auf den Tisch stellte. „Es ist echt mehr los, als ich dachte.“

Kathie konnte nicht innehalten. Stolz erzählte sie ihrer Mutter, was sie gerade für eine Begegnung hatten.

Nachdem sie ausgetrunken hatten und sogar Becky langsam fast in eine Art fröhliche Weihnachtsstimmung gekommen war, suchten sie einen Weihnachtsbaum aus. Er war gerade so groß, ausgiebig geschmückt, aber dennoch ohne Pro­bleme in der Bahn transportiert werden zu können.

Susanne konnte den in einem Netz verpackten Baum ohne Probleme alleine tragen.

Kurz vor der Straßenbahn erspähte Becky den verkleideten Weihnachtsmann von vorher. „Würde es euch was aus­machen, wenn ich etwas später nach Hause komme? Ich will noch was erledigen.“

Susanne war etwas verwundert, nickte aber. „Kein Pro­blem. Sollen wir mit dem Schmücken auf dich warten?“

Zu Susannes Überraschung antwortete Becky: „Ja, das wäre schön.“

Susanne und Kathie stiegen in die Bahn und Becky ging auf den jungen Mann zu. Dieser erkannte sie direkt wieder und sagte keck: „Na, noch nicht genug von dem Weihnachts­trubel hier?“

„Oh doch, aber ich wollte noch mal danke, für das Mit­spielen, sagen.“

„Gern. Ist selten, dass man Leute noch glücklich machen kann.“

Becky nickte. „Ich verstehe den ganzen Weihnachtshype ohnehin nicht.“

Er lachte und sagte: „Ich auch nicht. Ich bin übrigens Jan und habe gleich Pause. Also, falls du Lust hast, das Ge­spräch fortzuführen.“ Er zwinkerte ihr zu.

Kurze Zeit später befanden sich die beiden auf dem Dach eines Parkhauses. Jan setzte sich auf den Boden. Becky war überwältigt. „Das ist ja mal eine Aussicht.“

Jan antwortete: „Ja, das habe ich letztes Jahr in einer meiner Pausen entdeckt. Seitdem bin ich oft hier.“

Becky ließ sich neben ihm nieder. „Und erzähl mal, wieso wird man Weihnachtsmann, wenn man keine Weihnachts­stimmung teilt?“

Er musste schmunzeln. „Wenn ich jetzt sage, ich brauchte Geld, klingt das für einen Weihnachtsmann vermutlich sehr unauthentisch.“

Becky entgegnete lächelnd: „Aber ehrlich. Ich sehe Weih­nachten mittlerweile eher als Event, das einen unter Druck setzt und ohnehin nur Missmut verbreitet. Außerdem steht doch sowieso nur noch der Konsum im Vordergrund.“

Jan sah sie kurze Zeit an.

Das verunsicherte Becky. „Kannst du denn Gegenargu­mente bringen?“

Jan musste lachen. „Wieso fühlst du dich denn direkt in deiner Meinung verunsichert. Ich teile deine Ansicht schon so halb.“

„So halb?“

Jan sammelte sich kurz. „Na ja, das mit dem Konsum, ist ja das, was die Leute daraus machen. Man muss sich ja der Gesellschaft nicht beugen und das teuerste Geschenk be­sorgen. Ich denke, es kommt auf das Miteinander an und was man sich bei einem noch so günstigen Geschenk überlegt hat. Vermutlich hoffen wir doch alle insgeheim, diese kind­liche Naivität wieder zu spüren. Diese wirkliche Liebe für einen besinnlichen Moment und Freude, die man anderen bereitet, einfach dieses glückliche Miteinander spüren.“

„Das sieht man ja auf der Straße, wenn sich alle abhetzen und grimmig schauen, während sie sich fast um das letzte Geschenk prügeln.“

Jan musste nicht lange überlegen und sagte: „Nun ja, da sind wir wieder dabei, dass dieses Wirkliche bei vielen Men­schen verloren gegangen ist, aber wir das bei uns selbst ja nicht zulassen müssen. Und wäre dieser Impuls nicht auch noch in dir, hättest du deiner Schwester vorhin nicht so einen schönen Schein beibehalten wollen.“

„Das ist doch etwas völlig anderes. Sie ist noch so …“

„Fasziniert und glücklich über all dieses Weihnachts­ge­plän­kel?“, unterbrach Jan sie.

Es begann allmählich zu schneien. Dicke, nasse Flocken fielen vom Himmel. Es wirkte in diesem Moment fast ma­gisch.

Nun musste Becky lächeln. „Vielleicht hast du recht.“

Als Becky abends durch die Haustür kam, rannte Kathie ihr bereits mit Lametta in den Händen entgegen und umarmte sie. „Endlich! Los, lass uns den Baum schmücken.“

Becky war von einer unerklärlichen Zufriedenheit einge­nom­men und hatte richtig Spaß am gemeinschaftlichen Schmücken. Sie war unfassbar glücklich über ihre Liebsten, zufrieden mit sich und ihrem Leben.

Der Schnee nahm weiter zu und in dem Licht des ge­schmückten Baums sah es durch das Fenster unfassbar idyllisch aus.